Soll ich Termiten oder Maden essen? Soll ich über den vereisten See robben oder laufen? Soll ich versuchen, an dem Krokodil vorbeizutauchen oder es mit Lärm vertreiben?
Während mir Überlebenskünstler Bear Grylls seine Fragen stellt, muss ich mich schnell entscheiden und auf der Fernbedienung die richtige Antwort auswählen. Wähle ich falsch, riskiere ich, dass seine Mission scheitert.

Ich bin anfällig für interaktive Inhalte und so ist es auch kein Wunder, das ich völlig begeistert bin von der Netflix Serie „You vs. Wild“/„Du gegen die Wildnis“. Denn das Fernseherlebnis ist hier irgendwie nicht so, wie ich es bisher kannte. Ich nehme aktiv teil am Handlungsstrang und muss versuchen für Grylls die richtige Entscheidung zu treffen. So wähle ich zum Beispiel auf dem vereisten See die falsche Entscheidung und lasse den Überlebenskünstler über den See laufen. Einfach nur aus Neugier. Fast habe ich den Überlebenskünstler damit auf dem Gewissen, denn er bricht natürlich in das Eiswasser ein. Während er sich daraus befreit, gibt er mir seelenruhig Tipps, wie ich mich in so einer Situation richtig verhalte. Als er sich aus dem eiskalten Wasser zieht, halte ich den Atem an und bin zutiefst erleichtert, dass das nochmal gut gegangen ist.

„Du gegen die Wildnis“ ist eine dieser interaktiven Serien, in der wir als Zuschauer das Geschehen aktiv beeinflussen. Überlebenskünstler Grylls fordert uns dazu auf, diejenige Methode zu wählen, die seine Mission am ehesten zum Erfolg führen kann. Das kündigt er stets mit den Worten an:

„Du hast das Sagen, du entscheidest!“

Das Entscheiden macht diese Serie aus und es macht sie so innovativ. Während der ersten Folge dachte ich über all die Möglichkeiten nach, die dieses Format zu bieten hat.

Das Kopfkino nahm seinen Lauf. Was wäre, wenn wir die großen Serien interaktiv in ihrer Handlung beeinflussen könnten? Nehmen wir Game of Thrones zum Beispiel. Die letzte und achte Staffel sorgte bei eingefleischten Fans nun wahrlich nicht für Jubelschreie. Mehr als 1,5 Millionen Menschen waren dermaßen empört über die letzten sechs Folgen, dass sie sogar eine Petition unterschrieben haben, die erreichen soll, dass die letzte Staffel neu produziert wird. Könnten Serienmacher solch dramatische Enttäuschungen mit interaktiven Formaten vielleicht verhindern? Was wäre, wenn wir in Zukunft die Handlungen in Kultserien wie GoT selbst bestimmen könnten? Soll Daenerys Targaryen direkt auf den Roten Bergfried fliegen oder zuerst tausende Unschuldige umbringen? Soll Jon Snow zum Dolch greifen oder nicht?

Bei GoT hätte das vermutlich nichts am Unmut der Zuschauer ändern können, da die achte Staffel mit sechs Folgen in den Augen vieler Fans einfach zu gestaucht wurde. Doch andere Formate könnten davon profitieren und uns als Zuschauer mit in die Handlung einbeziehen, also uns aktiv am Geschehen teilnehmen lassen. Schauen wir auf Beispiele, die es abgesehen von „Du gegen die Wildnis“ schon gibt.

Si Fueras tú – was würdest du tun?

Die schon 2017 erschienene spanische Serie „Si Fueras tú“ /„Was würdest du tun?“ folgt dem gleichen Prinzip. Dabei dreht sich die Geschichte um die 17-jährige Alma Ruiz, die mit ihrem Onkel in eine neue Stadt zieht. Als Alma zum ersten Mal ihre neue Schule besucht, wird sie von Schülern, Lehrern und einfach jedem angestarrt. Schnell wird klar warum. Alma sieht genauso aus wie eine Schülerin, die ein halbes Jahr zuvor spurlos verschwand. Am Ende jeder einzelnen Folge wurden die Zuschauer dazu aufgerufen über die Handlung der Protagonistin in einer bestimmten Situation zu entscheiden. Dafür hatten sie 24 Stunden Zeit und konnten auf Facebook oder Instagram zwischen zwei Optionen wählen. Erst nach der Entscheidung gingen die Schauspieler wieder ans Set und drehten die Folge genau so, wie es die Fans zuvor vorgegeben hatten. Demnach konnten die Zuschauer an Almas Handlungen teilhaben und diese auch beeinflussen.

Black Mirror: Banderstnatch – interaktives Fernsehen für Erwachsene

Mit Black Mirror: Bandersnatch liefert Netflix ein interaktives Storytelling, das nichts für schwache Nerven ist. Der Teenager Stefan, gespielt von Fion Whitehead, entwirft im Jahr 1984 ein Videospiel auf der Grundlage eines Fantasy Romans. Das Videospiel besteht, genau wie der Roman, aus zahlreichen Multiple Choice Fragen, die wir als Zuschauer beantworten müssen um die Entscheidungen für den Hauptcharakter zu fällen.

„Wir können so viel mehr tun, als nur lineares Fernsehen anzubieten.“

Mit Formaten wie „Buddy Thunderstruck: The Maybe Pile“ und „Puss in Book“ wurde das interaktive Mitmachfernsehen für Kinder bereits getestet. Carla Engelbrecht, Director of Product Innovation bei Netflix, ist nach diesen beiden Produktionen der Meinung, dass in interaktivem Storytelling viel mehr Potenzial steckt, als in linearen Fernsehsendungen.

Während die Handlungsstränge in Kindersendungen stark vereinfacht sind, ist ein interaktives Fernsehformat für ein erwachsenes Publikum viel komplexer aufgebaut. Für größere interaktive Fernsehproduktionen hat Netflix deshalb ein eigenes Script-Writing-Tool entwickelt. Mit dem Branch Manager konnten für Bandersnatch zahlreiche Varianten der Story entworfen werden, die den Zuschauer wieder zurück in die Hauptstory versetzen. Die Entscheidungen können dadurch mehrmals von uns überdacht werden. Dadurch kamen insgesamt fünf verschiedene Enden des Films heraus.

Die vereinzelten Handlungsstränge sind durchaus verzwickt. Selbst Regisseur David Slade hat verraten, dass er es nicht mehr schafft alle der Szenen des von ihm produzierten Films wiederzufinden. So meint er: „Wir haben sogar eine Szene gedreht, zu der wir es selbst gar nicht mehr schaffen“. Das heißt also, es gibt viele Szenen im Film, die wir wohl nie zu Gesicht bekommen werden.

Fazit

Ein interaktiver Film wie Bandersnatch ist aufgrund seines komplexen Aufbaus viel aufwendiger zu produzieren, als es ein Film mit linearer Storyline ist. Das bedeutet, die Produzenten müssen vorher genau abwägen, ob sich der Film, die Serie oder Show lohnt und das Publikum durch die Interaktivität erreicht wird.
Wenn es gut durchdacht ist, kann mit den interaktiven Inhalten einiges erreicht werden. Allem voran, dass wir als Zuschauer zu einem Teil der Geschichte werden und das Gefühl vermittelt bekommen, einen echten Einfluss auf den Handlungsstrang zu haben. Wenn der derzeitige Stand an Interaktivität jedoch nicht schnell weiterentwickelt wird, dann könnte es dazu führen, dass wir auch schnell wieder gelangweilt sind. So geht es zum Beispiel vielen Zuschauern bei „Du gegen die Wildnis“. Nach einigen Folgen war das Prinzip klar und der Reiz des Interaktiven schon wieder verflogen. Die Produzenten werden sich in einer Zeit, in der Augmented Reality und Künstliche Intelligenz täglich zu neuen Entwicklungen führen, jedoch sicherlich noch einiges einfallen lassen, damit Zuschauer wie ich, gebannt vor den TV-Geräten sitzen und fieberhaft über die richtige Entscheidung grübeln.

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